Gender Mainstreaming in der Agrarpolitik – Interview mit Heide Cortolezis
Die Arbeitsgruppe Geschlechtergleichstellung im Rahmen des GAP-Strategieplans wurde eingerichtet, um die Gleichstellung der Geschlechter in der Umsetzung und Wirkung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu verbessern. Im GAP-Strategieplan (Gemeinsame Agrarpolitik) ist die Geschlechtergleichstellung als ein wichtiges Querschnittsthema verankert. Sie zielt darauf ab, Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im landwirtschaftlichen Sektor und im ländlichen Raum sicherzustellen und bestehende Ungleichheiten abzubauen.
Wir haben mit Heide Cortolezis, die als Fachexpertin Teil der Arbeitsgruppe (AG) ist, gesprochen. Im Gespräch erklärt sie die Bedeutung von Gender Mainstreaming in der Agrarpolitik und wie dieses Prinzip in der Arbeit der AG umgesetzt wird.
Frau Cortolezis, Sie sind Expertin für Gender Mainstreaming. Was bedeutet dieser Ansatz konkret – besonders im Kontext der Landwirtschaft und des ländlichen Raums?
Gender Mainstreaming (GM) ist ein strategisches Instrument, das darauf abzielt, Gleichstellung systematisch in allen Bereichen mitzudenken – auch in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Es geht darum, Veränderungen bewusst zu gestalten, und das funktioniert nur, wenn man gemeinsam erkennt, warum etwas verändert werden muss (der „Case for Action“) und welches Ziel man dabei verfolgt. Damit Gender Mainstreaming wirklich umgesetzt wird, muss klar benannt werden, was im jeweiligen Kontext unter Gleichstellung verstanden wird und wohin die Entwicklung führen soll. Diese Zielsetzung muss auf strategischer Ebene erfolgen. Erst dann können Strukturen – wie Zuständigkeiten, Entscheidungswege, Verfahren oder Budgeteinsätze – so angepasst werden, dass sie konkret zur Erreichung dieser Ziele beitragen.
Wie haben Sie Ihre Expertise in die Arbeit der Arbeitsgruppe Geschlechtergleichstellung eingebracht? Gab es spezielle Aspekte des Gender Mainstreamings, die Sie besonders betonen wollten?
In meiner Arbeit in der Arbeitsgruppe war es mir wichtig zu betonen, dass Gleichstellung nicht nur „Frauensache“ ist. Alle Maßnahmen zur Entwicklung von Landwirtschaft und ländlichem Raum sollten immer auch danach gefragt werden, wie sie sich auf Frauen und Männer unterschiedlich auswirken. Leider bleibt die Gender-Perspektive in der Praxis oft auf einzelne Projekte für Frauen beschränkt. Dabei geht es nicht nur darum, etwas für Frauen zu tun, sondern durch ihre aktive Beteiligung etwas für die Landwirtschaft insgesamt zu erreichen. Das volle Potenzial beider Geschlechter zu nutzen, ist entscheidend für die Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe – wird aber oft durch traditionelle Strukturen ausgebremst.
Welche Herausforderungen oder Hürden sehen Sie aktuell bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming in agrarpolitischen Programmen wie dem GAP-Strategieplan?
Eine der größten Hürden ist, dass klare Gleichstellungsziele oft fehlen – dabei sind sie ein zentraler Bestandteil von Gender Mainstreaming. Es wird selten eindeutig formuliert, was Gleichstellung in einem bestimmten Programm überhaupt bedeutet und was konkret erreicht werden soll – etwa durch Fördermaßnahmen oder Projekte. Wenn das unklar bleibt, fehlen auch die konkreten Schritte, um Gleichstellung gezielt voranzubringen. Ohne strategischen Rahmen und ohne klare Kommunikation nach außen bleibt das Thema oft vage – und verliert dadurch an Wirkung.
Gender Mainstreaming wird oft als Werkzeug zur Förderung von Gleichstellung gesehen. Wenn Sie die aktuelle Umsetzung mit der Implementierungsphase der AG – etwa um 2018 – vergleichen: Erkennen Sie Unterschiede in der Herangehensweise oder im Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit?
Ja, es gibt deutliche Unterschiede. In der Förderperiode 2014–2020 wurden im Zuge der Ex-ante-Evaluierung zwar Ziele und Empfehlungen für mehr Gleichstellung erarbeitet, aber nur teilweise umgesetzt. Die damalige Arbeitsgruppe hat viele Maßnahmen angestoßen, jedoch eher breit gestreut.
Im aktuellen Konzept wird nun gezielter und tiefer gearbeitet – einzelne Maßnahmen oder Interventionen stehen im Fokus, werden dafür aber mit allen Beteiligten intensiv und mit klaren Zielsetzungen bearbeitet. Das macht den Umsetzungsprozess transparenter und nachvollziehbarer – und schafft eine gute Grundlage, um diese Herangehensweise künftig auf weitere Bereiche zu übertragen.
Wie bewerten Sie die bisherigen Maßnahmen der Arbeitsgruppe in den Bereichen Beratung, Investitionen und regionale Umsetzung aus der Perspektive des Gender Mainstreamings?
Im Bereich Beratung wurde intensiv und erfolgreich mit allen relevanten Ebenen zusammengearbeitet:
– Praxis: Berater:innen aus dem Feld,
– Umsetzung: Landwirtschaftskammern,
– Ausbildung: Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik.
Gemeinsam wurden die Beratungssituation und bestehende Weiterbildungsangebote analysiert. Daraus entstand eine „Landkarte der Hebelpunkte“, die zeigt, wo im Beratungsprozess Gleichstellung besonders wirksam gefördert werden kann. In Workshops mit den Organisationen und dem BML wurden daraufhin klare Ziele und konkrete Schritte zur Umsetzung und strukturellen Veränderung definiert – ein echter Fortschritt.
Im Bereich Investitionen analysiert derzeit die BAB Investitionsprojekte hinsichtlich ihrer Gender-Wirkung – also zum Beispiel Anzahl, Volumen und Themen der geförderten Projekte in der landwirtschaftlichen Erzeugung und Diversifizierung. Auf Basis dieser Daten werden die nächsten Maßnahmen entwickelt.
Die regionale Umsetzung hat leider etwas später begonnen. Erste Schritte wurden mit zwei Workshops gemacht, in denen ein gemeinsames Verständnis von Gender Mainstreaming erarbeitet wurde. Der wichtige Austausch mit dem Vorstand ist für Ende April 2025 geplant – ein zentraler Meilenstein für die weitere Verankerung.
Inwiefern trägt die Auswahl der LEADER-Region Hermagor als Pilotprojekt dazu bei, Gender Mainstreaming auf regionaler Ebene zu verankern?
Die Pilotregion wird ihre bestehende Lokale Entwicklungsstrategie um Gleichstellungsziele ergänzen. Jenseits von „sex-counting“ und strategischen Feldern, in denen eindeutig Frauen und Männer als solche sichtbar sind, soll nachvollziehbar werden, was es bedeutet, wenn „alle in allen Bereichen eine Gleichstellungsperspektive“ einnehmen.
Neben der inhaltlichen Verankerung von Geschlechtergleichstellung in der Lokalen Entwicklungsstrategie gilt es mit der LAG – vor allem mit jenen Akteurinnen und Akteure der LAG, die in steuernden und entscheidenden Funktionen sind (Vorstand/ Projektauswahlgremium) – zu konkretisieren, welches Governance- und Steuerungssystem praktikabel ist.
Wir hoffen, die Ergebnisse sind gut auf andere Leader-Regionen übertragbar.
Welche langfristigen Wirkungen erhoffen Sie sich durch die Maßnahmen der Arbeitsgruppe im Hinblick auf eine nachhaltigere und gerechtere Agrarpolitik?
Im Bereich Beratung ist eine sehr positive Veränderung zu erwarten, da alle beteiligten Organisationen tatsächlich gebündelt den gemeinsam formulierten Gleichstellungszielen zuarbeiten und die vereinbarten Schritte umsetzen.
Im Bereich Investitionen sind spannende Evaluierungsergebnisse zu erwarten. Falls sich Muster hinsichtlich geschlechtsspezifisch konnotierter Themen/ Arbeitsbereiche, Förderwerberinnen und Förderwerber, Investitionshöhen, etc. identifizieren lassen, können die Strukturen dahingehend verändert werden, dass die wirtschaftlichen Leistungen und der Beitrag zur Sicherung und Entwicklung der Betriebe von Frauen und Männern explizit die gleiche Bewertung und Anerkennung erhalten. Und es gibt noch weitere Maßnahmen, die die AG während der Programmlaufzeit umsetzen möchte.
Wo sehen Sie bereits positive Entwicklungen im Bereich der Geschlechtergleichstellung im ländlichen Raum?
Es gibt bereits eine wachsende Bereitschaft unter den Akteur:innen, sich hinter das gemeinsame Ziel zu stellen, die ländliche Entwicklung geschlechtergerecht zu gestalten. Das heißt: Frauen und Männer sollen gleichermaßen mitentscheiden, mitgestalten und Verantwortung übernehmen können – in allen Bereichen des Lebens, sei es in der Produktion, im sozialen Miteinander oder in der Familienarbeit. Dieses Verständnis findet zunehmend Unterstützung, und viele Akteur:innen ziehen in diese Richtung mit.
Der politische Diskurs über Frauen ist aber nach wie vor gekennzeichnet durch den Blick auf Frauen in ihren privaten Rollen, sprich „Mütter“ oder durch den Versuch, Frauen in Richtung männlich „upzugraden“. Obwohl Frauen im ländlichen Raum mittlerweile über eine ebenso gute oder höhere Ausbildung wie Männer verfügen, mit Kettensägen umgehen und Traktor fahren können, neue Einkommensmöglichkeiten am Hof erschließen, sind alle bisherigen Aufgaben und Zuschreibungen aus den alten Gender-Rollen bei ihnen geblieben.
Daher verfügen sie über weniger Zeit ihr vorhandenes Potential einzusetzen. Ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten werden oft durch Vorgaben zur Zusammensetzung von Gremien und zeitliche Organisation von Sitzungen eingeschränkt. Es braucht also mehr Mut für „Männerförderprojekte“, um die männliche Geschlechterrolle auch am Land ganz aktiv zu verändern und zu erweitern.
„Upgrade“ in Richtung weiblich: Mehr Kuchenbacken, mehr Vaterschaft, etwas mehr Zurückhaltung, wenn sie im Gremium nichts wirklich Wichtiges zu sagen haben, dafür die Arbeitskleidung von allen waschen und bügeln, …
Da liegt noch viel Kulturarbeit vor uns. Aber zumindest die Strukturen könnten wir schnell ändern.