Case Study: Wintergemüse – Nachhaltige Lösungen für saisonales Frischgemüse und Direktvermarktung
Allgemeine Informationen
Projektlaufzeit (Start- und Enddatum) | 04/2016 – 04/2019 |
Projektregion | österreichweit |
Förderperiode | LE 14-20 |
Maßnahme im GAP-Strategieplan | EIP-AGRI (16.1.1. und 16.2.1. aus LE 14-20) |
Finanzierung in Euro
Gesamtprojektkosten (i)+(ii)+(iii) = | 242.000 € |
+ (i) GAP Strategieplan | 100% |
+ (ii) Private und Eigenmittel | |
+ (iii) Andere Finanzquellen |
Kurzbeschreibung
Das Projekt zur Direktvermarktung von Wintergemüse knüpft an frühere Forschungen der HBLFA Schönbrunn an, die sich mit der Frosthärte und Wintertauglichkeit verschiedener Gemüsearten befasst haben. Ziel ist es, ein konsequent saisonales Frischgemüseangebot auch in der Winterzeit zu ermöglichen, wo traditionell Sortimentseinschränkungen und Vermarktungspausen herrschen. Unter Wintergemüse wird jenes Gemüse aus dem Freiland- oder geschütztem Anbau verstanden, das zwischen November und März geerntet und nicht beheizt wird.
(Fotocredit: Wolfgang Palme)
Ein Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Ermittlung idealer Anbauzeitpunkte und Sorten für verschiedene geografische und klimatische Bedingungen. In Saisonen wurden auf landwirtschaftlichen Betrieben und Versuchsstationen Anbauversuche durchgeführt, um die optimalen Zeitpunkte für den Winteranbau zu bestimmen. Diese Versuche zeigten, dass es kein allgemeingültiges Rezept für den Winteranbau gibt; die Anbauzeitpunkte müssen standortspezifisch angepasst werden. Selbst kleine zeitliche Unterschiede von etwa zwei Wochen können im Herbst und Winter entscheidend sein, ob eine Kultur rechtzeitig geerntet werden kann. So wurde beispielsweise bei Bundkarotten festgestellt, dass eine Ernte vor Weihnachten sinnvoll ist, da die sensorische Qualität nach dem Jahreswechsel stark abnimmt.
Neben dem Anbau spielte auch der Schutz der Kulturen eine Rolle. So stellte sich heraus, dass selbst im Dezember Schädlinge wie die Möhrenfliege aktiv sind und größere Tiere wie Rehe und Hasen eine Bedrohung darstellen. Auch bei Salaten, die im kalten Folientunnel angebaut werden, erwiesen sich bestimmte Sorten wie Batavia-Typen und grüne Pflücksalate als widerstandsfähig. Hierbei ist nicht die Kälte das Hauptproblem, sondern das Risiko von Pilzinfektionen durch hohe Luftfeuchtigkeit.
Ein weiteres Arbeitspaket befasste sich mit der ökologischen und ökonomischen Analyse des Wintergemüseanbaus, durchgeführt vom Forschungsinstitut für den ökologischen Landbau. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Der Winteranbau kann die Effizienz der Flächenauslastung steigern, da sonst ungenutzte Flächen im Winter bewirtschaftet werden können. Zudem ist der Pflegeaufwand im Vergleich zu Sommerkulturen geringer, was den Betriebsmitteleinsatz und die Arbeitskosten reduziert. Für Betriebe ergeben sich somit zahlreiche Vorteile: Ein konstanteres Einkommen, eine höhere Kundenbindung durch ein ganzjähriges Sortiment und eine optimierte Personalauslastung.
Auch die Nachhaltigkeit in der Verpackung war ein zentrales Thema. Es wurden Lagertests mit am Markt verfügbaren, nachhaltigen Verpackungen durchgeführt, um die Lagerfähigkeit von Schnittsalaten zu verbessern und zu zeigen, welche Optimierungen mit bereits vorhandenen Materialien möglich sind. Ziel war es, dass die Nachhaltigkeit der Wintergemüseproduktion auch in der Verpackung sichtbar wird.
Im Arbeitspaket „Arbeitswirtschaft“, das von Beraterin Renate Spraul begleitet wurde, ging es um die Optimierung der Arbeitsabläufe bei Ernte und Verpackung von Wintergemüse. Da der Anbau von Bio-Wintergemüse einen hohen Anteil an Handarbeit erfordert und somit kostenintensiv ist, können durch effizientere Methoden Zeit und Geld gespart werden.
Ein besonderes Augenmerk lag auf der sensorischen Ansprache des Wintergemüses, die von Eva Derndorfeden entwickelt wurde. Ähnlich der Weinansprache wurde ein spezifisches Vokabular für Wintergemüse erstellt, um Konsumentinnen und Konsumenten die Besonderheit und Einzigartigkeit dieses Angebots näherzubringen. Diese sensorischen Beschreibungen flossen in Broschüren ein, die dazu dienen sollen, die Neugier auf das Wintergemüsesortiment zu wecken und den Verkauf zu fördern.
Was macht dieses Projekt besonders nachahmenswert?
- Entdeckung und Nutzung einer verlorenen Saison für den heimischen Frischgemüseanbau
- Nutzung biologischer Potenziale von Pflanzen statt energie- und ressourcenverschwendender Übertechnisierung
- Leichte Anwendbarkeit ohne große Investiontionsnotwendigkeiten
Warum war es wichtig, dieses Projekt umzusetzen (Kontext)
Die heimische Frischgemüseversorgung während der Wintermonate steht derzeit auf 2 Säulen:
- Importware aus südlichen Ländern
- Energie- und ressourcenaufwendige Intensivgewächshausproduktion von Ganzjahresprodukten (Tomaten, Paprika, etc.)
In vorliegendem Projekt ist es gelungen, neue zukunftsfähige Potenziale zu nutzen, die eine breite Winterernte von Frischgemüse erlauben. Statt der herkömmlich bekannten Kohl- und Rübensortimente eignen sich auch zahlreiche Salate, Frisch- und Küchenkräuter für eine ungeheizte Winterproduktion. Deren Frosthärte wurde bisher unterschätzt. Die kalte Produktion im Folientunnel gelingt unter einfachsten Voraussetzungen mit meist bereits ohnehin vorhandenen Ressourcen, die im Winter bisher oftmals brach lagen.
In Zeiten der Klimakrise wird es umso bedeutsamer sein, CO2-reduzierte Anbaumöglichkeiten zu finden und künftig breitflächig zu nutzen. Das vorliegende Konzept der Winterfrischernte zeigt einen gangbaren, nachvollziehbaren Weg einer nachhaltigen, saisonalen Lebensmittelversorgung durch erfolgreiches Schließen von Jahreslücken auf.
Ziele
- Reduktion von Treibhausgasemissionen bei der ganzjährigen Frischgemüseversorgung
- Stärkung heimischer Direktvermarktungsbetriebe durch Schließen von Jahreslücken
- Förderung einer saisonalen, jahresrhythmusgebenden, gesellschaftlichen Ernährungsweise
Beteiligung
- Bioverband: BIO AUSTRIA
- HBLFA für Gartenbau – Schönbrunn
- Landwirtschaftliches Versuchszentrum Steiermark, Wies
- Gartenbauschule Langenlois
- FIBL – Forschungsinstitut für den biologischen Landbau
- Lebensmittelcluster Niederösterreich
- Bio-Praxisbetriebe: Biohof Jaklhof, Kainbach bei Graz Stmk., Biohof Bubenicek-Meiberger, Zwerndorf NÖ, Biohof ADAMAH GbR, Glinzendorf NÖ, Biohof Krautwerk, Füllersdorf NÖ, Achleitner Biohof GmbH, Eferding OÖ, Ökohof Feldinger, Wals Sbg., Biohof Stechaubauer, Saalfelden Sbg.
Ergebnisse und Wirkungen
- Etablierung einer Frischgemüseverkaufssaison unter Direktvermarktungsbetrieben quer durch Österreich
- Öffentliche Aufmerksamkeit einer kritischen Konsument*innenschaft für Saisonalität und lokale Produktionspotenziale
Mehrwert durch Vernetzung
Das vorliegende Projekt ist ein sehr positives, gelebtes Beispiel für das Grundkonzept der EIP-AGRI Förderschiene: Vernetzung zwischen angewandter Wissenschaft und unternehmerischer Praxis.
Neue Möglichkeiten für Vernetzung und Kooperation
Das Projekt diente zur Stärkung der Nähe zwischen Lebensmittelproduktion und Konsum in Österreich. Winterfrischgemüse ist eine Produktgruppe mit einer erzählbaren, vorbehaltslos positiven Entstehungsgeschichte und damit ein ermutigendes Beispiel gelebten Wandels hin zu einer nachhaltigeren, zukunftsfähigen Lebensmittelwirtschaft im Land. Damit hat es Modellfunktion für eine neue Entwicklung, den Zusammenhang und Zusammenhalt zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft zu fördern.
Innovation
Resultat des Projekts war die Einführung eines neuen Zugangs zu winterlicher Frischgemüseversorgung aus Direktvermarktung, die es in dieser Breite und Qualität bisher nicht gab.
Es konnte belegt werden, dass die entwickelten Winteranbauverfahren vom alpinen Westen bis zum pannonischen Osten Österreichs funktionieren und anwendbar sind. Die erstellten Broschüren und Infomaterialien sind frei abrufbar und können von allen Interessierten genutzt werden.
Einbeziehung junger Menschen
In der gemüsebaulichen Direktvermarktung sind überproportional viele junge Menschen erwerbstätig (Stichwort: Marktgärtnereibetriebe). Die Unterstützung ganzjähriger Absatzmöglichkeiten kommt damit besonders ihnen zugute.
Einbeziehung von Frauen
Das Projekt „Weiterentwicklung Bio-Wintergemüse“ war von der Leitung bis zur betrieblichen und wissenschaftlichen Beteiligung maßgeblich von Frauen getragen und beeinflusst.
Die wichtigsten Lernerfahrungen
Schon in seinem Grundansatz sprengt das vorliegende Projekt herkömmliche Denkgrenzen. Dass Salate und andere Frischgemüse winterhärter und frostfester sind, als das in der gängigen Fachliteratur gelehrt wird, war schon von Beginn weg aufsehenerregend und „revolutionär“. Zahlreiche verblüffende, unerwartete Erkenntnisse kamen dazu:
- die scheinbar benachteiligten Gemüseanbaugebiete im österreichischen Westen entpuppten sich als privilegiert für eine Winterfrischproduktion, weil sie sich gegenüber dem klassischen Osten Österreichs als sonnenreicher und damit wachstumsbegünstigt darstellten.
- Winterfrischgemüse schmeckt süß und ist in seiner Inhaltsstoffkomposition keinesfalls minderwertig gegenüber der Sommersaison
- im wirtschaftlichen Sinn kann der Winter sogar erfolgreicher genutzt werden als so manche der klassischen Sommergemüsekulturen
Lektion: die Überwindung von Denkschranken öffnet neue Räume, die ganz praktisch erfolgreich genutzt werden können. Durch das Ausschöpfen biologischer Potenziale werden Ressourcen und Energie eingespart, die sich ökonomisch und ökologisch entlastend auf Betrieb und Gesellschaft auswirken.
Übertragbarkeit
Die Frage der österreichweiten Anwendbarkeit bildete einen Kern des Projekts. Dass sie positiv beantwortet werden kann, macht einen wichtigen Erfolgsfaktor des Projekts aus.
Wurde das Projekt kopiert?
Das vorliegende Projekts diente in Aspekten als Vorlage für eine europaweite Fortführung im Rahmen von Horizon 2020 ERA-Net project CORE Organic Cofund „Greenresilient“: Greenresilient – Greenresilient
Im nationalen Bereich folgten daraus folgende Neuprojekte in Kooperation mit der HBLFA Schönbrunn:
- Wintergemüse-Projekt LGV Sonnengemüse: 2020-2021, Erntebeginn für Wintergemüse aus Österreich – LGV Sonnengemüse
- Projekt Winterfrischgemüse mit der Agrarmarketing Tirol: 2021-2022, Projekt Winterfrischgemüse – Lebensraum Tirol Holding
Synergien mit anderen EU-Politiken
Trägt dieses Projekt zu den Zielen anderer europäischer und internationaler Politiken bei?
☐ JA ☒ NEIN
Falls ja, zu welchen?
☒ Europäischer Grüner Deal
☐ Langzeitvision für ländliche Gebiete in Europa bis 2040 (EU Long Term Vision)
☐ EU Biodiversitätsstrategie 2030
☐ Vom Hof auf den Tisch (Farm to Fork Strategie)
☐ EU Digitalisierungsstrategie
☐ EU KMU-Strategie
☐ EU Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter
☒ UN-Nachhaltigkeitsziele SDG
Links
Links:
Bio-Wintergemüse: Vom Schnee auf den Teller – BIO AUSTRIA (bio-austria.at)
Wintergemüse – Genuss aus der Kälte – BIO AUSTRIA (bio-austria.at)
Bio-Wintergemüse: Frisches Grün in der kalten Jahreszeit – BIO AUSTRIA (bio-austria.at)
Downloads:
Wintergemüse Fibel – BIO AUSTRIA (bio-austria.at)
Anbau von Wintergemüse in der Praxis – BIO AUSTRIA (bio-austria.at)